Brodelnde Barragen

25.05.2022

Aufstieg oder Abstieg, Ligaerhalt oder Enttäuschung: In den Barragespielen der Swiss Football League geht es um alles oder nichts. Wir schauen vor den grossen Partien zwischen Luzern und Schaffhausen zurück auf vergangene Thriller.

Mister Barrage

Ein Barragespiel ist ein Ausnahmeerlebnis für einen Fussballer. Ausser für Manuel Garrido Rivera. Gleich in 12 (!) solcher Partien stand der gebürtige Peruaner zwischen 2003 und 2011 im Kader für die AC Bellinzona und den FC Vaduz. Dabei erlebte er alles: Nicht-Aufstieg, Nicht-Abstieg, Aufstieg, Abstieg. Besonderes Highlight für den Mittelfeldspieler war natürlich das Duell mit dem FC St.Gallen 2008: Challenge-Ligist Bellinzona siegte in beiden Spielen und stürzte die Espen ins Elend. «Die Bilder dieser Barrage bewegen mich noch immer, wenn ich sie sehe», sagte Rivera kürzlich. Und er sieht sie oft: Regelmässig zeigte er das Rückspiel von damals auf Grossleinwand in der Bar Granata beim Stadion von Bellinzona, die er seit seinem Rücktritt führt. «Bar Rage» wäre bei diesem Pächter vielleicht der passendere Name gewesen. Übrigens: Die AC Bellinzona spielt kommende Saison wieder in der dieci Challenge League und hat so die Chance, seinen Rekord als Barrageteilnehmer (bislang 4 Mal) auszubauen.

Präsident als Bodyguard

Es drohte der Super-GAU. Das letzte Spiel in der zum Abriss freigegebenen Allmend stand an, und der FC Luzern hatte im Juni 2009 nach einem schwachen Auftritt im Barrage-Hinspiel in Lugano ein 0:1 wettzumachen. Michel Rengglis Führungstreffer bringt erste Erlösung, doch dann explodiert eine Petarde aus dem Fanblock neben dem Ohr des Linienrichters. Schiri Zimmermann droht mit Abbruch, sollte das Ohrensausen seines Assistenten nicht abklingen. Luzern-Trainer Rolf Fringer, auch medizinisch bewandert, reicht dem Leidenden einen Kaugummi, der Trick hilft. Und Präsident Walter Stierli stellt sich mit Sonnenbrille vor die Kurve, lässt sich ein Megafon reichen und verkündet: «Möchid dere Mannschaft das Speel ned kabott!» Stierli erklärt auch gleich, wie es weitergeht: «Wir wollen nicht forfait verlieren. Jetzt stehe ich das ganze Spiel da. Und wehe, ich erwische einen!» Auch das nützt. Das Megafon tauscht Stierli gegen ein Bier, und seine Mannschaft schickt Lugano mit 5:0 nach Hause und verbleibt so in der Super League. Die Fans zerlegen die Allmend auf der Suche nach Souvenirs. Seinen Kniff verrät Stierli später: «Ich habe denjenigen, die am gfürchigsten dreinschauten, tief in die Augen geblickt. Von da an war Ruhe.»

Porsche für Aufstieg

2011 bekommt die AC Bellinzona als Gegner einen gefallenen Grossen: Servette, 17-facher Schweizer Meister, hat sich nach dem Konkurs und dem Fall in die 1. Liga wieder zurückgekämpft. Präsident und Investor ist nun der umstrittene Iraner Majid Pishyar. Der hatte zuvor schon Fussballvereine in Österreich und Portugal in den Bankrott geführt, in Genf schlug man alle Warnungen in den Wind. Mit einem 3:1 vor über 23'000 Zuschauern im Stade de Genève kehrten die Grenats nach sechs Jahren Absenz wieder in die Super League zurück. Und Pishyar jauchzte in die Kamera: «We did, we did! I'm happy. I was sure. Nobody believed me, but I was sure! I was sure! We did! It was great! They went to Super League. Nobody believed me. I diiid! Thank you, thank you, thank you. We go to be champion in Switzerland! I promise!» In aller Grosszügigkeit versprach er gleich noch jedem Spieler einen Porsche. Auf den warten die Helden von damals noch heute, denn Pishyar fuhr lieber den Klub an die Wand. In der Folgesaison musste Servette nämlich Konkurs anmelden und wurde gleich nochmals zwangsrelegiert.

Der absolute Wahnsinn

Xamax geht 2019 als Favorit ins Duell mit Challenge-League-Vertreter Aarau. Und erlebt im heimischen Stadion sein blaues Wunder: Gleich 0:4 endet das Hinspiel, der Abstieg scheint besiegelt. Doch im Brügglifeld ereignet sich eines der grössten Comebacks, das die Fussballschweiz je gesehen hat. Zur Halbzeit hatte Xamax bereits drei Tore aufgeholt, in der 72. Minute gleicht Geoffrey Tréand – ausgerechnet ein Ex-Aarauer – aus. Im Penaltyschiessen treffen alle Xamaxiens, der letzte FCA-Schütze verschiesst. Die Aufstiegstrikots werden wieder eingepackt und später mit dem Zusatzdruck «Aufstehen und weiterkämpfen» an Mitarbeitende verschenkt.